Blick in die Fabrik der Fäden Foto: Chris Gonz

© Chris Gonz

Fabrik der Fäden – Von Maschinen und Menschen

Vischelantes Vogtland

Von Maschinen und Menschen

Lesedauer: 7 Minuten

Ein Tag in der Welt der Fabrik der Fäden

Das alte Weisbachsche Haus an der Elsteraue erstrahlt in neuem Glanz. Nach umfangreichen Umbauarbeiten hat es sich in die Fabrik der Fäden verwandelt – ein modernes Museum, das die Geschichte der vogtländischen Textilindustrie und der Plauener Spitze® erzählt und gleichzeitig die Elsteraue belebt.

Die 12-jährige Mia betritt neugierig das Gebäude. Sie kennt die Plauener Spitze nur von den altmodischen Tischdecken ihrer Oma. Mia hat bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Vorstellung, was sie erwartet. Klar, ihre Oma hat ihr von der Zeit erzählt, in der sie selbst hier in der Region noch mit anderen Frauen zusammensaß und die einzelnen Spitzen zu ganzen Decken wickelte. (Wickeln bezeichnet das Zusammenfügen einzelner Teile mittels Nadel.)

Doch was sie hier erwartet, wird ihre Sicht auf dieses Kulturerbe verändern. Schon im Eingangsbereich staunt Mia über die Kontraste: Hohe Hallen, in denen riesige Räder stehen, moderne Lichtinstallationen am Boden und durch die Glasfront der Blick auf den Mühlgraben. Alte Industrie-Nähmaschinen von Pfaff und Singer stehen neben hochmodernen interaktiven  Ausstellungsstücken. Hier, im Eingangsbereich des Museums, geht es um die Transmission, also die Frage, wie die Stickmaschinen angetrieben worden und am Ende die Muster auf den Stoff übertragen wurden.

Der Durchbruch der Plauener Spitze: Goldene Zeiten für Plauen

Die Stadt, ja die gesamte Region, wurde unter anderem durch die Spitzenproduktion reich. Deshalb ist neben der Geschichte der Industrialisierung die Entwicklung der Plauener Spitze ein zentrales Thema der Ausstellung. Diese filigrane und kunstvolle Handwerkskunst erlebte ihren Höhepunkt während der Weltausstellung 1900 in Paris. Damals schlossen sich mehrere Plauener Fabrikanten zusammen, um einen beeindruckenden Messestand zu errichten und ihre Produkte einem internationalen Publikum zu präsentieren. Dies war der Durchbruch – die Plauener Spitze wurde weltbekannt und gewann sogar den ersten Preis der Ausstellung.

Überall im Vogtland wurde Spitze hergestellt. Ganze Familien waren von den Kindern bis zur älteren Generation involviert. Ob Decken kontrollieren oder die einzelnen Spitzenteile  zusammensetzen: Der Prozess war arbeitsintensiv und erforderte viele helfende Hände. In den Hinterhöfen wurden in kleinen Baracken die Decken bearbeitet – überall dort, wo nur ein bisschen Platz übrig war, wurde Spitze produziert.

Diese Zeit markierte auch den Beginn einer Periode unglaublichen Wohlstands in Plauen. Vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges war Plauen eine Großstadt. Auf der Bahnhofstraße flanierten Damen in eleganten Kleidern und Herren in feinen Anzügen. Das Stadtbild wurde von prachtvollen Villen und beeindruckenden Bauwerken geprägt. Plauen war eine wohlhabende Stadt, die von einer schier unglaublichen wirtschaftlichen Dynamik geprägt war. Ein Wahrzeichen dieser Zeit war das berühmte Café Trömel. Es erstreckte sich über einen ganzen Häuserblock, mit einem eigenen Ballsaal und einer eigenen Kapelle. Noch heute zeugen viele der Stadthäuser von dieser Zeit.

Ohne Kinder wäre der Wohlstand nicht möglich gewesen

Diese Blütezeit hatte auch ihre Schattenseiten. Kinderrechte gehörten damals noch nicht zum Standard, sehr wohl aber die Kinderarbeit. Das Museum erzählt die Geschichte dieser Kinder. Ohne die fleißigen kleinen Hände, die Stunde um Stunde, oft nach der Schule, helfen mussten, die Fäden dort zu halten, wo sie gebraucht wurden, oder Spulen zu wechseln, wäre diese große Industrie nicht am Leben gehalten worden. Sie halfen regelmäßig nach der Schule in den Werkstätten ihrer Eltern, während die großen Stickmaschinen unermüdlich arbeiteten. Obwohl das heute unvorstellbar erscheint, war es damals die Norm – und eine Notwendigkeit, um den enormen Produktionsaufwand zu bewältigen.

Wussten Sie?

  • 1912 – in der Hochzeit der Spitze – hatte Plauen 128.014 Einwohner.
  • Plauen war prozentual die Stadt mit den meisten Millionären Deutschlands: viele alte Herrschaftshäuser entstammen noch aus dieser Zeit.
  • Das Café Trömel bewältigte täglich eine Gästeschar von über 7.000 Menschen.

Plauener Spitzenproduktion selbst testen
Auf Kinder warten im Museum viele Möglichkeiten, sich auszuprobieren und mitzumachen: Ob bei der Station, an der die Arbeitsweise eines Pantographen vermittelt wird, indem man ein großes Muster auf ein kleines Blatt verkleinert, oder bei ihrem persönlichen Highlight: ein Spitzenkleid designen.

In Zukunft sind noch viel mehr Mitmachstationen geplant u. a. ein großes Puzzle, an dem man selbst entdecken kann, wie die Näherinnen die einzelnen Spitzenteile zu einer großen Kreation zusammengesetzt haben.

„Es sind die Verbindungen in unsere Vergangenheit, die das Museum so besonders machen“

Die Verbindungen zwischen Geschichte, Handwerk und Menschlichkeit machen das Museum so einzigartig. Die Fabrik der Fäden ist bestrebt, diese Geschichten lebendig zu halten und sie an zukünftige Generationen weiterzugeben. Jedes Ausstellungsstück, jede Maschine und jede Erzählung zeigt, dass die Geschichte der Plauener Spitze nicht nur eine Geschichte von Innovation und Erfolg ist, sondern auch eine von harter Arbeit, Familie und Gemeinschaft.

Heute erinnert das Museum an diese reiche und vielschichtige Geschichte und bietet Besuchern die Möglichkeit, tief in die Vergangenheit zu tauchen und die Bedeutung der Plauener Spitze für die Region und ihre Menschen nachzuvollziehen.

„Mia, schau mal!“, ruft ihre Mutter plötzlich aufgeregt. Sie zeigt auf ein altes Foto an der Wand. „Das ist deine Uroma. Sie hat auch in der Spitzenindustrie gearbeitet!“ Mia ist fasziniert. Plötzlich fühlt sich die Geschichte ganz nah an. Sie beginnt zu verstehen, wie sehr die Plauener Spitze das Leben ihrer Vorfahren und ihrer Stadt geprägt hat. So wie Mias Mutter ergeht es einigen Besuchern. Wegen der engen Verbundenheit zur Spitzenherstellung, gibt es immer wieder Besucher, die Geschichten ihrer Eltern oder Großeltern erzählen können, die in dieser Zeit mit in der Produktion tätig waren.

Mia hat mit ihrer Familie die komplette Ausstellung besucht, hat Stoffe angefasst, die Region auf einer Vogtlandkarte von oben betrachtet und sich ein eigenes Kleid entworfen. Auf dem Heimweg geht ihr so vieles durch den Kopf. Sie hat nicht nur alte Geräte gesehen, sondern die harte Arbeit, die hinter jeder Spitze steckt, verstanden. Die Menschen, die Geschichten, die Erinnerungen – all das fühlt sich jetzt lebendiger an. Als sie die kühle Luft draußen einatmet, weiß sie, dass sie diese Erfahrung nicht so schnell vergessen wird. Vielleicht, denkt sie, wird sie das nächste Mal sogar ihre Mutter bitten, wieder Spitze in ihr neues Kleid einzunähen. Die Fabrik der Fäden hat nicht nur ein altes Gebäude neu belebt, sondern auch Mias Blick auf ein Stück vogtländischer Geschichte verändert. Und vielleicht geht es vielen Besuchern so: Sie kommen, um alte Maschinen zu sehen, und gehen mit einem neuen Verständnis für das kulturelle Erbe der Stadt.

Geschenkideen für das ganze Jahr
Auch in der Adventszeit empfängt die „Fabrik der Fäden“ unterhalb der malerischen Kulisse der Plauener Altstadt ihre Besucher.

Wenn Sie noch ein Weihnachtsgeschenk suchen, werden Sie sicher im Shop fündig: Egal, ob weihnachtliche Spitzenprodukte oder Designertassen – für jeden ist etwas dabei.

Sonderausstellung: Der Grafiker Lothar Rentsch

Vom 12. November 2024 bis 2. März 2025 feiert das Museum den 100. Geburtstag des Plauener Grafikers Lothar Rentsch mit einer Sonderausstellung. Diese würdigt das Werk von Lothar Rentsch und sein kulturelles Engagement. Mit der 1961 gegründeten Plauener Grafikgemeinschaft z. B. förderte er den Austausch zwischen Künstlern und Sammlern in der DDR.

Die „Fabrik der Fäden“ präsentiert eine repräsentative Auswahl seines Schaffens. Zusätzlich gibt es ein Begleitprogramm mit Angeboten rund um Druckgrafik und Lothar Rentsch, z. B. die Möglichkeit, eigene Einkaufstaschen zu bedrucken – perfekt für die Weihnachtszeit!

Fabrik der Fäden – Eine Entdeckungsreise

Im denkmalgeschützten, historischen Weisbachschen Haus können alle auf Entdeckungsreise durch die Welt der Textilindustrie im Vogtland gehen. Ausgewählte Exponate und Maschinen präsentieren sich im Zusammenspiel mit modernster Ausstellungsgestaltung und zeigen die vielfältigen Facetten der regionalen Textilproduktion. Die „Fabrik der Fäden“ bündelt Wissen von Generationen für Generationen.

Fabrik der Fäden Weisbachsches Haus Plauen – Deutsches Forum für Textil und Spitze
Bleichstraße 1,  08527 Plauen
www.fabrik-der-faeden.de

So kommen Sie hin
Zug: Plauen, oberer Bahnhof (Umstieg in Tram oder Bus) und Bahnhof Mitte (ca. 15 Minuten Fußweg)
Tram: Hans-Löwel-Platz, Neues Rathaus, Tunnel
Bus: Böhlerstraße (3 Min. Fußweg), Fabrik der Fäden

Alle Besucher, die am oberen Bahnhof bzw. Busbahnhof Plauen ankommen, erreichen mit Umstieg zu den PlusBussen 50 und 90 die Fabrik der Fäden. Zugleich können Besucher aus dem Göltzschtal sowie aus Oelsnitz und dem oberen Vogtland mit diesen Linien entspannt anreisen.